Greif & Schlick, Coburg

Isaac Merrit Singer gründete 1851 die I.M. Singer & Co in Boston, USA und stellte erstmals Nähmaschinen industriell her. Die Maschinen wurden dadurch sehr populär, was den Absatz der Maschinen stark ankurbelte. Positiv auf den Absatz wirkte sich auch die spätere Weiterentwicklung zur Haushaltsmaschine aus. Günstige Ratenzahlungsmöglichkeiten führten weiter zu einem starken Anstieg der Verkaufszahlen von Nähmaschinen weltweit.[1] Der Bedarf an Nähmaschinen und deren Ersatzteilen war auch in Coburg so groß, dass am 01. April 1879 der Nähmaschinenmechaniker Carl Greif und der Kommerzienrat[2] Konrad Schlick die „Greif & Schlick Nähmaschinen-Teile-Großhandlung“ in Coburg gründeten. Am 27.08.1880 erfolgte der erste Eintrag im Handelsregister beim Amtsgericht Coburg unter der Handelsregisternummer HRA Co 324[3]. Laut dem späteren Urenkel Conrad Greif, hielt die Firma Greif & Schlick später unzählige Patente rund um die Nähmaschine und sicherte sich so Absatzwege auf der ganzen Welt.[4]

Preis Courant 1902 (Bildquelle: Privatarchiv Rolf Metzner)

Als in den 1880er und 1890er Jahren der Radsport in Coburg durch den Bau einer Radrennbahn erblühte und internationale Radrennen veranstaltet wurden, wurde das Geschehen durch den Techniker Carl Greif, sehr genau beobachtet. Carl Greif war ein großer Radsportfreund. Die Firma stiftete auch einige Ehrenpreise für die Radrennen auf der Coburger Radrennbahn.[5]

1907 erweiterte sich das Portfolio und es kamen zu Nähmaschinenersatzteilen und Zubehör noch Motorrad- und Automobilteile dazu. Da die Firma stark expandierte, wurde 1908 in der Raststraße 5 ein Büro-, Fabrik- und Lagergebäude gebaut, schnell fanden ca. 100 Mitarbeiter dort eine Anstellung.[6] Das dreigeschossige Traufseithaus wurde vom Architekten und Bauunternehmer August Berger aus Coburg im strengen Jugendstil errichtete und mit einem Mansardwalmdach versehen. Die HUK-Coburg kaufte das Gebäude und sanierte es 1987 grundlegend. Bei den sehr umfangreichen Sanierungsarbeiten wurde der hintere Teil des Gebäudes zwar abgebrochen. Aber noch heute ist im früheren Eingang das Wappen der ehemaligen Eigentümer zu sehen. Das Haus steht mittlerweile unter Denkmalschutz und zählt zu einem der schönsten Jugenstilhäusern Coburgs.[7]

Briefkopf 1925 (Bildquelle: Privatarchiv des Autors)

In den 1900er und 1910er Jahren, erfuhr das Fahrrad einer sehr großen Beliebtheit. Durch die Industrialisierung und dem Ende des Ersten Weltkrieges war es ein billiges Fortbewegungsmittel für Arbeiter geworden. Viele „Radler-Vereine“ wurde auch in und um Coburg gegründet[8] und die Verkäufe nahmen rasant zu[9]. Daher entschloss sich die Geschäftsführung ab ca. 1920 auch Fahrradteile ins Angebot mit aufzunehmen.

Die Kinder der Greif & Schlick Gründer, Kommerzienrat Schlick hatte 2 Töchter und der Techniker Carl Greif einen Sohn, wurden wie damals üblich, miteinander „verkuppelt“. So blieb alles in der Familie und die älteste Tochter Ida, vom Kommerzienrat Schlick, heiratete den Sohn Max vom Techniker Greif. Aus dieser Ehe stammt Rolf Greif, der 1909 geboren wurde. Er wird einige Jahre später auch die Firma übernehmen. Leider verstarb Max Greif, als Rolf erst 6 Jahre alt war. Und so entschieden die beiden Gründer Greif und Schlick, Ida mit ihrem Sohn Rolf nach Berlin zu schicken, wo das Leben für eine Witwe mit Kind einfacher war als in Coburg. Nach dem Tod der Gründer führte Ellen Schlick, die zweitälteste Tochter des Kommerzienrates, die Firma weiter. Ellen Schlick war nicht verheiratet und so sagt man, ist sie als Jungfräulein gestorben. Zu dieser Zeit legte sie auf die Ansprache Fräulein großen Wert. Nach Schule, Studium und Militärdienst im Zweiten Weltkrieg kam Rolf Greif 1946 nach Coburg zurück. Ellen Schlick war überaus erfreut, dass der Neffe in das Unternehmen einstieg. Am 08. April 1968 übernahm er dann schließlich zu 100% die Geschäftsführung.[10]

1955 lernte Rolf Greif die PanAm Stewardess Christine, genannt Christa, kennen. Sie hieß zufälligerweise auch Schlick und entstammte aus der Hofschlachterei Schlick in Coburg. Der große Altersunterschied von 20 Jahren war für die Kinder der beiden kein Problem, zumal nach Erinnerung des Sohnes Conrad, die Mutter zu Hause eh „die Hosen anhatte“.[11]

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Absatz- und Beschaffungsmärkte im Osten weggebrochen waren, begann Rolf Greif bereits 1947 mit dem Großhandel von Fahrradteilen. Die Greif & Schlick KG, 1937 firmierte das Unternehmen um und Ida Greif wurde Kommanditistin, begann in den 1950er Jahren mit der ersten Montage von Fahrrädern der Marken „Ehrenburg“ und „Greif“. Ein Zusammenschluss regionaler Fahrradhersteller und Großhändler in Deutschland sicherte die Materialversorgung und Absatzwege. Abnahmeverträge mit Fichtel & Sachs, Continental, Wittkopp, Union etc. waren wichtige Partner in diesen Tagen. Die Firma wuchs dadurch weiter, Zweigniederlassungen in Fulda und Bayreuth wurden errichtet. Dadurch wurde die Erreichbarkeit der Kunden deutlich verkürzt, schnellere Lieferzeiten waren das Ergebnis.

1960 konnte Rolf Greif den gesamten Grundstücksblock von der Raststraße bis zur Bahnhofstraße (damals Grundstück Senkeisen) dazukaufen und begann Fahrräder in diesem Gebäudeteil selbst zu bauen. In dem damaligen Einzugsgebiet von Nordhessen und Gesamtfranken lag der Marktanteil von 1960 bis 1970 mit Fahrrädern und Fahrradteilen bei ca. 80%. Kunden waren ausschließlich Fahrradhändler, von denen viele davor Nähmaschinenhändler waren. [12]

Werbung aus dem Jahr 1937(Bildquelle: Privat Archiv Rolf Metzner)

Zur Vermeidung von Wettbewerb bei zwei oder drei Händlern an einem Ort, wurden die Marken Hohenfels, Ehrenburg und Greif verwendet. Die Räder waren bis auf kleine Farbänderungen die Gleichen, die dann, je nach Händlervertrag, mit den verschiedenen Markennamen dekoriert wurden.

1985 schließlich sollte sich als das Schicksalsjahr in der langjährigen Geschichte von Greif & Schlick erweisen. Neben der erheblich rückläufigen Nachfrage nach Fahrrädern als Individualverkehrsmittel, brachen auch die USA als Exportland wegen Währungsdisparität weg. Asiatische Billigfahrräder und -teile überschwemmten den europäischen Markt. So kam es zu Kurzarbeit und Entlassungen in der Fahrradindustrie[13] und der Firma Greif & Schlick fehlte der Absatzmarkt. Am 16.10.1985 wurde das Konkursverfahren beim Amtsgericht Coburg eröffnet. Am 25. Oktober 1989 erlosch die Greif & Schlick KG – genau 6 Monate nach dem 110jährigen Bestehen.[14]

Als Conrad Greif 1982 in das Unternehmen seines Vaters eintrat war ihm bereits klar, dass der Fahrradbau in Deutschland keine Zukunft mehr hatte. Zu der Zeit lernte er seine erste Frau, Susanne Puello, kennen. Ihr Vater besaß in Schweinfurt ebenfalls eine Fahrradfabrik. Conrad Greif gründete am 18. Januar 1985 zusammen mit seinem Schwiegervater, dem Eigentümer der noch heute existierenden Marke Winora, die „Greif & Schlick Handelsgesellschaft mbH“ mit Sitz in Coburg.[15] Dazu wurde das heute unter Denkmalschutz stehende Gebäude einer ehem. Porzellan- und spätere Korbwarenfabrik im Hambacher Weg 12[16] im Coburger Ortsteil Creidlitz angemietet. Im Wesentlichen wurden Mountainbikes aus China importiert und Sport und Jugendräder aus Schweinfurt dazugekauft. Diese Räder wurden dann unter dem Namen „Greif“ verkauft. Ca. 25.000 Fahrräder wurden dort pro Saison vorgehalten. [17]

Im Januar 1988 wurde die Fahrradfabrik Staiger in Stuttgart gekauft und sie übernahmen auch die dortige Geschäftsführung. Die Produktion und Teilelogistik verlagerten sie nach Schweinfurt und legten den bundesweiten Vertrieb von Staiger und Greif & Schlick zusammen. 1994 wurden die einzelnen Vertriebsbüros aufgelöst und Winora, Staiger und Greif & Schlick fusionierten 1995 zur Winora – Staiger GmbH mit Sitz in Sennfeld bei Schweinfurt.[18] Die „Greif & Schlick Handelsgesellschaft mbH“ wurde nun endgültig aufgelöst.

Der Vater von Conrads zweiter Frau Birgit, hatte ebenfalls eine Fahrradimportfirma, seine Frau Birgit hat die heutige Markenverantwortung für Winora, Batavus und Green`s und seine Tochter Christina Puello gründete die „Deutsche Dienstrad“, eine sehr erfolgreiche Leasingsfirma für Fahrräder.[19] Somit bleibt doch auch ein klein wenig der Geist vom Nähmaschinenmechaniker Carl Greif und dem Kommerzienrat Konrad Schlick aus Coburg der Fahrradwelt für die Zukunft erhalten.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%A4hmaschine (zuletzt abgerufen 20.02.2024)

[2] Kommerzienrat ist ein Ehrentitel, der im Deutschen Reich vor allem bis 1919 an Persönlichkeiten der Wirtschaft verliehen wurde. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kommerzienrat (zuletzt abgerufen 20.02.2024))

[3] https://www.handelsregister.de Historischer Abdruck

[4] Persönliche Korrespondenz mit Conrad Greif vom 29.01.2024

[5] https://coburger-radsport.de/historisches/ (zuletzt abgerufen 20.02.2024)

[6] Persönliche Korrespondenz mit Conrad Greif vom 29.01.2024

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkm%C3%A4ler_in_Coburg/R

[8] Staatsarchiv Coburg – Statuten diverser Radler-Vereine im Archiv

[9] https://www.ziv-zweirad.de/wp-content/uploads/2023/12/Jubilaeums-Doku-135-Jahre-zusammen-stark.pdf

[10] Persönliche Korrespondenz mit Conrad Greif vom 29.01.2024

[11] Ebd. vom 30.01.2024

[12] Ebd.

[13] https://www.ziv-zweirad.de/wp-content/uploads/2023/12/Jubilaeums-Doku-135-Jahre-zusammen-stark.pdf

[14] https://www.handelsregister.de Historischer Abdruck

[15] Ebd.

[16] https://www.geodaten.bayern.de/denkmal_static_data/externe_denkmalliste/pdf/denkmalliste_merge_463000.pdf

[17] Persönliche Korrespondenz mit Conrad Greif vom 29.01.2024

[18] https://www.deutsche-dienstrad.de/familiengeschichte/ (zuletzt abgerufen 20.02.2024)

[19] https://www.commerzbank.de/unternehmerkunden/wachsen/interview-christina-diem-puello/ (zuletzt abgerufen 20.02.2024)