aus Coburger Zeitung vom 14.07.1896
Zur Geschichte des Zweirades wird in der „Münchner Allg. Zeitung“ aus Schweinfurt geschrieben: Vor kurzem ist durch viele Blätter die Mitteilung gegangen, dass man in Frankreich zu Bar le Duc zwei Männern Namens Michaux ein Denkmal gesetzt hat, welche als die Erfinder des Zweirades von den Franzosen bezeichnet werden. Die beiden Michaux seien auf die Erfindung durch eine Draisine, welche im Jahre 1859 zur Reparatur gebracht wurde, gekommen. Diese Draisine besteht aus 2 Rädern, die, ähnlich wie das Zweirad, durch ein Gestell verbunden waren, welches einen Sattel trug, nur fehlten die Trittkurbeln und erfolgte die Bewegung durch die den Erdboden berührenden Füße. Die beiden Michaux seien nun auf die Idee gekommen, die Achse des Vorderrades mit Trittkurbeln zu versehen, und ein Pariser Hutmacher habe 1865 das erste derartige Fahrzeug benützt. Nachweisbar hat zu Anfang der 1850er Jahre – spätestens 1855 – der nun verstorbene Instrumentenmacher Phil. Moritz Fischer in Schweinfurt am Main sich ein Zweirad, das er schon mit Trittkurbeln versah, gebaut und zu seinen Geschäftstouren gebraucht. Dieses Zweirad befindet sich zurzeit in dem mit historisch und kunstgewerblich wertvollen Objekten reich ausgestatteten städtischen Museum zu Schweinfurt und erregt bei Sportfreunden viel Interesse. Das Vehikel ist aus Holz gefertigt, die Räder sind mit eisernen Reifen beschlagen. Am vorderen Rade befindet sich die Trittkurbel, die Pedale haben ein Gegengewicht, damit die Trittfläche immer oben ist. Das Vorderrad hat einen Durchmesser von 92 Centimeter, das Hinterrad einen solchen von 66 Centimeter und das ganze Vehikel hat eine Länge von 170 Centimeter. Der Sattel ruht auf Federn, ist abnehmbar und dient zugleich als Deckel für einen unter diesen angebrachten Kasten, in welchem Gepäck mitgeführt werden konnte. Auch eine Bremse, und zwar eine Hinterradbremse, welche von der Lenkstange aus gehandhabt wurde, ist angebracht. Vorder- und Hinterrad ist in den Gabeln derart eingesetzt, dass die Räder mit Leichtigkeit herausgenommen werden können. Nicht vergessen sind kleine Schutzbleche zum Abstreifen des Straßenkothes und einer Vorrichtung zur Anbringung einer Laterne, ja selbst eine selbsttätige Glocke und ein kleiner Ölbehälter sind angebracht. Vergleicht man nun dieses bereits im Anfang der 1850er Jahre konstruierte und schon damals mit allen Einrichtungen der jetzigen modernen Fahrrädern versehenen Vehikel mit denen jetzt gebaut und Zweirädern, so steht es außer Zweifel, dass daselbe als das „erste Zweirad“ bezeichnet werden kann und das die Erfindung des Zweirades mit Trittkurbeln demnach einem Deutschen zukommt. Bemerkenswert dürfte es doch sein, dass der vorgenannte Fischer, welcher im Jahre 1812 geboren war, schon als Schüler sich eine der Draisine ähnliche Fahrmaschine verfertigte und dieselbe zu Spazierfahrten benützte. Ein Sohn des Fischer – Friedrich Fischer – hat die Maschine zur Fabrikation der Velocipedgußstahlkugeln erfunden und im Jahre 1884 in Schweinfurt die erste deutsche Velocipedgußstahlkugel Fabrik gegründet, die heute noch in seinem Besitz ist und einen Weltruf genießt.
Coburger Zeitung, 14.07.1896