Vom 31.07.1892 bis zum 03.08.1892 fand in Coburg ein wahres (radsportliches) Großereignis statt. Die Allgemeine Radfahrer Union (ARU) veranstaltete ihren „VII. Congreß der Allgemeinen Radfahrer Union“.

Die A.R.U.
Die ARU, das war neben dem Deutschen Radfahrer Bund, der größte Radfahrer Verband seiner Zeit. 1885 als „Allgemeiner Deutscher Radfahrer Verein“ in Nürnberg gegründet (übrigens im gleichen Jahr wie auch der erste Coburger Radsport Verein, der Radler Verein Coburg), zählte er im Ausrichtungsjahr des VII. Congresses bereits über 7.000 Mitglieder. Die A.R.U. orientierte sich an den Interessen der Einzelfahrer. Die DRU und auch der Allgemeine Deutsche Radfahrer Verband (ADRV) dagegen, nahm nur Vereine als Mitglieder auf. Der Coburger Radler Pionier Carl Balzer sollte im darauffolgenden Jahr, am 25.06.1893 sogar das Amt des I. Haupt Consuls für das Haupt Consulat Thüringen der ARU übernehmen.
Coburg, klein aber ganz groß
Fanden die ersten Kongresse der A.R.U. bislang nur in großen Städten wie Nürnberg, Würzburg, Mannheim, Dresden, München und Berlin statt, war Coburg doch eher klein und beschaulich. Man empfand es als „höchst schätzbare Bevorzugung (…) den diesjährigen Congreß in seinen Mauern abhalten zu dürfen“ (Coburger Zeitung, 03.04.1892). Der finanzielle Aufwand war dabei nicht unerheblich. Die Coburger Zeitung berichtete in gleicher Ausgabe, dass für den Fall eines Defizites sogar ein sog. Garantiefonds eingerichtet wurde und die Bevölkerung per Rundschreiben zur Beitragszeichnung aufgefordert wurde. Immerhin rechnete man mit der Ankunft von über 2000 Besuchern aus der ganzen Welt, die u.a. mit Sonderzügen anreisen werden. Ein eigens eingerichteter geschäftsführender Ausschuss warb in der Coburger Zeitung bereits Monate vor der Veranstaltung bei der Bevölkerung um die Bereitstellung von Unterkünften:
An die verehrl. Einwohnerschaft Coburgs
Dank der von der hiesigen Einwohnerschaft abermals an den Tag gelegten Gastfreundschaft sowie Dank der von den einzelnen Mitgliedern des Wohnungsausschusses bewiesenen Bemühungen sind uns bis jetzt für den VII. Congreß d. A.R.U. für die Tage vom 30.Juli bis 3.August d.J. über 1000 Quartiere zur Verfügung gestellt. Da dies aber noch nicht ausreicht, um alle zu erwartenden Radfahrergäste beherbergen zu können, richten wir nochmals an die geehrte Einwohnerschaft die ergebene Bitte, alle noch halbwegs zu ermöglichenden Zahl- oder Freiquartiere den noch Umfrage zu haltenden Quartiermachern zur Verfügung zu stellen oder bei unseren Mitgliedern (…) anzumelden.
Der geschäftsführende Ausschuss des VII. Congress d. A.R.U. pro 1892 Coburg.
Aufgrund der verkehrsgünstigen Lage rechnete man zeitweiße sogar mit über 2000 Besuchern. Auch die Tatsache, dass Sr. Majestät Kaiser Wilhelm II. einen „prachtvollen Ehrenpreis“ zur Preisverleihung stiftete, unterstrich noch einmal deutlich die Wertigkeit dieser Veranstaltung. Auch Coburgs regierender Herzog Ernst stiftete einen Ehrenpreis und übernahm „als Herr dieses Landes“ das Protektorat über die Veranstaltung. Die Bevölkerung indes wurde aufgerufen: „Unsere Stadt genießt in ganz Deutschland den besten Ruf als Feststadt, trage deshalb Jeder nach Kräften dazu bei, daß ihr dieser alte gute Ruf erhalten bleibt.“ (Coburger Zeitung, 03.04.1892)
Besonders erwähnenswert ist dazu noch folgendes. Die Kölner Volkszeitung vom 22.06.1892 berichtete, dass angeblich der Herzog anordnete, dass am Sonntag während dem Kongress der Gottesdienst ausfallen soll, um den Feierlichkeiten keinen Abbruch zu tun. Es wurde angemerkt, dass „conservative Blätter die Richtigkeit dieser Mittheilung bezweifeln“. Dies wurde aber tatsächlich laut Magistrats Schreiben vom 28.04.1892 angeordnet. (vgl. Staatsarchiv Coburg Min D 4099 Blatt 30)
Die Veranstaltung kann beginnen
Da es damals für so viele Menschen in Coburg noch keine geeignete Veranstaltungsstätte gab und man für jedes Wetter gerüstet sein wollte, wurde eigens für den Kongress auf dem Anger eine 750 Meter große Halle gebaut. Sie diente als Festraum, Versammlungsort und Kunstfahrhalle gleichermaßen. Mit dem Bau wurde ein Schernecker Handwerker beauftragt. Dieser hatte mit 8000 Mark den günstigsten Kostenvoranschlag abgegeben. Ein Mitbewerber aus Coburg rechnete sogar mit 13000 Mark. In einem Nachbericht der ARU wurde die Halle wie folgt beschrieben:
„Die grosse Kunstfahrhalle, der Festraum, war unter sachverständiger Leitung zu einem wahrhaft imposanten Versammlungsort umgestaltet worden, unter dessen reichen Laubgewinden und der Tannen duftenden Waldgrün sich die Festgenossenschaft versammelt hatte. Erhellt von dem Lichtglanze von mehr als zweihundert Flammen, bot der Saal, von Besuchern gefüllt, das farbenprächtigste Bild (…)“
Radfahr Chronik Nr. 30, vom 8.August 1892
Bereits am Freitagmorgen, den 30. Juli 1892 nahm eine Musikkapelle die ersten Gäste aus ganz Deutschland am Coburger Bahnhof in Empfang. Die meisten Gäste kamen aber auf dem Rad in die Stadt. Die Coburger Zeitung beschreibt die Stadt in diesen Tagen: „(…) es war Alles trefflich hergerichtet, als die aus allen Gauen unseres deutschen Vaterlandes und selbst aus außerdeutschen Reichen angemeldeten Festgäste aus beflügeltem Rade ihren Einzug durch die gastlichen Thore unserer Stadt hielten. Fahnen in allen Farben grüßten ihnen entgegen; liebliches Maiengrün schmückte die Eingänge der Häuser, unter deren Dächern man den Gekommenen für die Tage des Festes ein trautes Heim zu bereiten bestrebt gewesen war;(…)“
Das I. Consulat München veranstaltete am 28.Juli1892 sogar eine Distanzfahrt von München nach Coburg, welches um 2 Uhr morgens in Schwabing startete – 290 km am Stück. Gewonnen hat das Rennen Joseph Fischer nach 14 Stunden und 3 Minuten. Fischer war der erste bedeutende Radsportler Deutschlands. Er gewann u.a. 1896 die erste Ausgabe des heute legendären Radsport Klassikers Paris Roubaix.

Die Eröffnung
Am Abend des 31. August fand um 8 Uhr im Festsaal ein großer Empfangs- und Festabend statt. Eröffnet wurde der Veranstaltung mit einer Ouvertüre zu „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber, gefolgt von einem Festprolog verfasst von Herrn Robert Gertlof und vorgetragen von Frieda Külbel. Dieser Prolog fand so großen Anklang bei den Anwesenden, dass der Dichter mehrfach auf die Bühne musste und unter stehenden Ovationen und „lautem Beifall“ zu diesem Werk beglückwünscht wurde. Im Anschluss erklärte Herr Oberbürgermeister Muther als Ehrenvorsitzender nach seiner Begrüßungsrede den „VII. Congreß der Allgemeinen Radfahrer Union“ in Coburg für eröffnet. Nach einer kurzen Pause hieß auch Herr Staatsrath Edmund von Wittken, der zusammen mit Herrn Ministerialrath Julius Meßmer als Vertreter des Herzogl. Staatsministerium erschienen war, alle Gäste die „aus unserem großen, theuren Vaterlande und aus ferneren Ländern in unser stilles, friedliches Thal geeilt seien“ in Coburg herzlich willkommen. Es folgte der gesangliche Teil des Abends. Fräulein Martha Meiner sang unter der Klavierbekleidung von Robert Gertlof drei Lieder: „Lithauisches Lied“ von Chopin, „Es muß ein Wunderbares sein“ von Liszt und „Die Thräne“ von Rubinstein. Im Anschluss richtete der Vorsitzende des geschäftsführenden Ausschusses und des Radler Vereins Coburg, Carl Balzer, seine Begrüßungsworte an die Gäste. Im Folgenden übergab er das Wort an Herrn Josef Schäfer, dem Präsidenten der Allgemeinen Radfahrer Union. Während des gesamten Abends wurden die Gäste immer wieder von den Vortragenden zu einem „All heil!“ aufgefordert. Die Feierlichkeiten dauerten noch bis spät in die Nacht. Einige Teilnehmer entschlossen sich noch zu später Stunden das Vereinslokal des Radler Vereins Coburg aufzusuchen.
Der zweite Tag
Der Morgen des zweiten Kongresstages wurde um 9 Uhr mit Beratungen im Saale der Bierhalle der Actien Brauerei eröffnet. Zutritt erhielten dort ausschließlich ARU-Mitglieder.
„Die Tagesordnung war folgende: 1) Jahresbericht des I. Vorstandes Schäfer; 2) Cassenbericht, erstattet durch Herrn Cassier Georg Habelt, nebst Bericht der Cassenrevisoren 3) Berathung über 45 gestellte Anträge; 4) Vorstandswahl.“
Coburger Zeitung, 01.August 1892
Die Versammlung wurde pünktlich beendet, so dass um 1 ¼ Uhr der Corso mit über 1050 Radfahrern durch die Stadt beginnen konnte. In folgender Aufstellung fuhren die Teilnehmer durch die Stadt:
- Zwei Fahrwarte
- Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses
- In maiengeschmückten Wagen das erste Musikchor
- Das Präsidium
- Die Wagen der Damen und Consulate
- Der Wagen des zweiten Musikchors
- Preiskorso:
- Konsulate und Vereine aus den Reichslanden Baden, Hessen, Pfalz, Württemberg und Bayern
- Konsulate und Vereine aus Preußen, Sachsen, Thüringen und den weiteren norddeutschen Staaten
- Vereine aus den Sächsischen Radfahrerbund
- Das Konsulat und der Radfahrer Verein Coburg
- Einzelfahrer
Der Corso nahm dabei folgenden Weg: Von der Bierfestung durch die Mohren-, Lossau- und Bahnhofstraße, durch die Heiligkreuzstraße, über den Steinweg, durch die Spitalgasse, über den Markt, durch die Ketschengasse und Ketschendorfer Strasse zur 1886 erbauten Radrennbahn auf dem Anger.
„Dieselbe machte einen imponierenden Eindruck durch die verschiedenen kleidsamen Trachten der Radfahrer und Radfahrerinnen verschiedensten Alters, durch‘ die reichen Banner der Vereine, Consulate und der Union, durch die elegante Haltung der Fahrer und durch die zahlreiche Betheiligung und präcise Aufeinanderfolge der Theilnehmer.“
Coburger Zeitung, 01.08.1892
Ab 3 Uhr Nachmittag fanden Rennen auf der Radrennbahn unter der Anteilnahme von tausenden Zuschauer statt. Folgende Rennen wurden in rascher Reihenfolge abgehalten:
- Recordfahren auf Hochrädern, 3000 Meter
- Meisterschaftsfahren der A.R.U. auf dem Dreirad, 5000 Meter
- Erstfahren auf den Niederrad, 2000 Meter
- Meisterschaftsfahren der A.R.U. auf dem Hochrade, 10000 Meter
- Dreirad Vorgabefahren 2000 Meter
- Ermunterungsfahren für Hoch- und Niederräder
- Doppelsitz Niederrad Fahren mit Vorgabe, 2000 Meter
Am Abend fand sich die Gesellschaft erneut im Festsaal auf dem Anger ein. Diesmal fand in der Festhalle das Kunstradfahren statt.
Der dritte Tag
Der dritte Festtag startete mit einem Frühkonzert auf der Veste Coburg. Auch spielte, wie auch den ganzen Tag zuvor, die Militärkapelle mit „tadelloser Leistung“. Um 11 Uhr erfolgte dann der „Rückzug in strammen Marsche zur Stadt auf den Marktplatz“ wo dem Herrn Oberbürgermeister eine Ovation verbracht wurde. Danach folgte die Gesellschaft einer Einladung des Münchner Konsulates in den Ratskeller, „wo sich bei echtem Münchner Gebräu bald eine zwangloseste Heiterkeit entwickelte“.

Nachmittag um 2 ½ die rennen des zweiten Tages:
- Meisterschaftsfahren der A.R.U. auf dem Niederrad, 7500 Meter
- Erstfahren auf dem Hochrad, 2000 Meter
- Niederrad Vorgabefahren, 3000 Meter
- Hochrad Vorgabefahren, 3000 Meter
- Doppelsitz Dreiradfahren mit Vorgabe, 2000 Meter
Am Abend fand in der eigens erbauten Halle auf dem Anger noch das sog. Concurrenz- und Kunstfahren statt:
- Reigen Fahren
- Herzog Ernst Fahren, Wettbewerb um die Meisterschaft der A.R.U. im Kunstfahren auf dem Hochrad
- Wettbewerb um die Meisterschaft der A.R.U. im Kunstfahren auf dem Niederrad
- Kürfahren
Anschließend hielt ein Festball die Teilnehmer bis in die frühen Morgenstunden „in fröhlicher Stimmung zusammen“.
Erfolgreicher Abschluss
Zum Abschluß des VII. Congreß der Allgemeinen Radfahrer Union 1892 fanden für alle noch an Anwesenden Ausflüge zu Schloß Callenberg und Schloß Rosenau statt.


Schreibe einen Kommentar