1888 Frühjahrs-Wettfahren

Frühjahrs-Wettfahrt des Radler-Vereins Coburg.

Coburg, 21. Mai. Das gestrige, von dem hiesigen Radler-Verein veranstaltete Velociped-Wettfahren war von einem Wetter begünstigt, wie es für einen solchen Zweck nicht besser gewünscht werden konnte. Der unerträglichen Hitze der letzten Tage war am Sonnabend Abend und gestern Morgen ein leichter Regen gefolgt, der den unangenehmen Staub löschte und die Luft abkühlte. Bei bedecktem Himmel erhob sich gegen 15 Uhr Nachmittags ein mäßiger Wind, der, ohne die Wettfahrer zu belästigen, Alles erfrischte und bis zum Schlusse des Rennens anhielt. — Schon mehrere Tage vor dem Rennen hatte sich eine Anzahl fremder Radfahrer hier eingefunden, um in Gemeinschaft mit ihren hiesigen Sportsfreunden auf der Rennbahn am Ketschenanger zu trainiren und am Sonnabend Nachmittags zeigten die Straßen der Stadt durch den Zugang anderer auswärtiger Velocipedisten bereits einen recht lebhaften Verkehr, der sich gestern Vormittags von Stunde zu Stunde steigerte. Trotz des leichten Regens hatte sich im Laufe des Vormittags eine vielhundertköpfige Menschenmenge von außerhalb eingefunden, die mit Spannung dem nachmittägigen Corso und Wettfahren entgegensah und sich bis dahin in die Restaurationslocale der Stadt und auf die Festung vertheilte, an welch‘ letzterem Orte ein trotz des regnerischen Wetters stark besuchtes Frühconcert stattfand. Nach demselben wurden die noch per Rad und Bahn angekommenen Gäste von den betreffenden Comites empfangen und nach dem „Hotel Victoria“ geleitet, wo nach Feststellung der Präsenzliste die Programm-Ausgabe erfolgte. Die Corsofahrt, welche Nachmittags 3 Uhr vom Schloßplatze aus durch die Allee, Steinweg, Spitalgasse, Ketschengasse nach dem Rennplatz stattfand, bot einen interessanten Anblick. 146 Radreiter, zu Zweien nebeneinander und später einzeln fahrend, betheiligten sich an derselben. In einem eleganten offenen Wagen fuhr die fleißig aufspielende Stadtcapelle voraus, welche vor dem Ketschenthor den schier endlosen Zug an sich vorüber passiren ließ und, während die Radfahrer die Ketschendorfer Straße entlang und von der Südseite in den Rennplatz einfuhren, auf dem letzteren Aufstellung nahm. Nachdem Se. Hoheit der Herzog mit Höchst Seinem Großneffen und HöchstSeinen Großnichten, dem Prinzen und den Prinzessinnen von Edinburg, mit der durch die Stadtcapelle intonirten Hymne „Lobpreiset laut rc.“ von E. H. z. S. begrüßt, auf dem Rennplatz erschienen waren und in der in der Mitte der Tribüne errichteten Loge Platz genommen hatten, begann Punct 4 Uhr das Rennen, welches, auf allen Plätzen sehr gut besucht, folgenden Verlauf nahm:

1. Erst-Fahren. Distance 2000 Meter (5 Runden). Offen für alle Herrenfahrer, welche noch keinen ersten oder zweiten Preis errungen haben. (Nur auf Tourenmaschinen, welche nicht unter 16 Kilogramm wiegen, zu fahren.) I. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 25 M. und ein vergoldetes Ehrenzeichen; II. Preis: ein silbernes Ehrenzeichen; III. Preis: ein broncenes Ehrenzeichen. Von den angemeldeten vier Fahrern betheiligten sich nur drei: C. Oppel-Rüsselheim, W. Schmidt-Coburg, Leopold Benda – Nürnberg. C. Oppel erreichte in 4 Min. 2 Sec. als Erster das Ziel, ihm folgte W. Schmidt in 4 Min. 6 Sec. als Zweiter und Benda in 4 Min. 11 Sec. als Dritter.

2. Herzog von Edinburg-Fahren. (Dreirad.) Distance 3000 Meter (7 1/2 Runden.) Offen für alle Herrenfahrer. I. Preis: Ehrenpreis Sr. Königl. Hoheit des Herzogs von Edinburg und ein vergoldetes Ehrenzeichen; II. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 70 M. und ein silbernes Ehrenzeichen; III. Preis: Ehrenpreis im Werthe 30 M. und ein broncenes Ehrenzeichen. Das Rennen war mit fünf Unterschriften belegt, von denen zwei vor demselben zurückgezogen wurden. Am Start erschienen: Paul Nagel-Frankfurt, Alb. Sild-Wien und Rob. Beyn-Hamburg. Nach hartem Kampf, während dessen Sild wiederholt die Führung übernommen hatte, von Beyn aber wieder überholt worden war, durchfuhr Beyn in 6 Min. 38 Sec. als Erster, Nagel in 6 Min. 38Vs Sec. als Zweiter und Sild in 6 Min. 39 Sec. als Dritter das Ziel.

3. Vereinsfahren mit Vorgabe. Distance 2000 Meter (5 Runden.) Offen für die Mitglieder des Radler-Vereins Coburg. I. Preis: Ehrenpreis, gegeben von den Ehrendamen, Ehrenschärpe und ein vergoldetes Ehrenzeichen; II Preis: Ehrenpreis und ein silbernes Ehrenzeichen; III. Preis: Ehrenpreis und ein broncenes Ehrenzeichen. Von den angemeldeten fünf Fahrern betheiligten sich vier: G Borneff, Carl Balzer, R. Freiherr v. Villiez (aus Darmstadt gebürtig) und Emil Zahn. Emil Zahn, welcher keine Vorgabe hatte, durchfuhr in 3 Min. 52 Vz Sec. als Erster, G. Borneff in 4 Min. — Sec. als Zweiter und Carl Balzer in 4 Min. 2/5 Sec. als Dritter das Ziel. Leider ereignete sich bei diesem Rennen ein Unfall, indem v. Villiez in der dritten Runde nahe dem Start stürzte und bewußtlos vom Platze getragen werden mußte. Nach diesem Rennen producirte sich Herr Carl Raab, Unionsmeisterfahrer im Kunstfahren, als Kunstfahrer auf dem Zweirad und erntete durch seine elegant und sicher ausgeführten schwierigen Evolutionen großen Beifall.

4. Herzog Ernst-Fahren. (Zweirad und Sicherheitszweirad.) Distance 5000 Meter (12 1/2 Runden.) Offen für alle Herrenfahrer, l. Preis: Ehrenpreis Sr. Hoheit des regierenden Herzogs Ernst von Sachsen Coburg-Gotha und ein vergoldetes Ehrenzeichen; II. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 100 M. und ein silbernes Ehrenzeichen; III. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 50 M. und ein broncenes Ehrenzeichen. Von den acht Nennungen waren fünf zurückgezogen worden, sodaß nur drei Fahrer — aber die bedeutendsten Fahrer des Inlandes — nämlich: A. Aichele-München (Meisterfahrer auf dem Zweirad des deutschen Radfahrer-Bundes), Erwin Achenbach-Hamburg und Friedrich Schwemmer-Nürnberg (welcher im vorigen Jahre im Herzog Ernst-Fahren den ersten Preis erwarb), starteten. Nach heftigem Ringen, in dessen Verlauf abwechselnd alle drei Fahrer die Führerschaft errungen und wieder verloren hatten, gewann in der zwölften Runde Achenbach einen Vorsprung vor Aichele und behauptete denselben, in 10 Min. 53 2/5 Sec. das Ziel als erster Sieger durchfahrend, während Schwemmer dicht am Start, Aichele um eine halbe Radlänge schlagend, in 10 Min 53 3/5 Sec. als Zweiter und Aichele in 10 Min. 53 4/5 Sec. als Dritter am Ziele ankam. Alle drei Fahrer, die mit so sichtbarer Anstrengung ehrgeizig um den ersten Preis rangen, wurden von dem das interessante, aufregende Schauspiel mit Spannung verfolgenden Publicum mit Beifall überschüttet.

5. Gauverbandsfahren mit Vorgabe. Distance 2000 Meter (5 Runden). Offen für alle Mitglieder des Gauverbandes 14 des deutschen Radfahrer-Bundes. I. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 50 M. und ein vergoldetes Ehrenzeichen; II. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 30 M. und ein silbernes Ehrenzeichen; III. Preis: Ehrenpreis im Werthe hon 20 M. und ein broncenes Ehrenzeichen. Sechs Nennungen, von denen zwei zurückgezogen worden waren. Es starteten: Otto Frenkel-Coburg, G. Leop. Borneff-Coburg und Emil Zahn-Coburg. Als Erster kam Emil Zahn in 4 Min. 5 Sec., als Zweiter G. L. Borneff in 4 Min. 27 Sec. und als Dritter O. Frenkel in 4 Min. 36 2/5 Sec. durchs Ziel. Der erste Sieger fuhr ohne Vorgabe.

6. Dreirad-Fahren mit Vorgabe. Distance 2000 Meter (5 Runden). Offen für alle Herrenfahrer. I. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 75 M. und ein vergoldetes Ehrenzeichen; II. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 40 M. und ein silbernes Ehrenzeichen; III. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 20 M. und ein broncenes Ehrenzeichen. Fünf Nennungen, von denen zwei zurückgezogen worden waren. Die drei Fahrer: Alb. Sild-Wien, R. Beyn-Hamburg, Paul Nagel-Frankfurt a. M. fuhren vom Start ab (ohne Vorgabe) und es erreichte A. Sild-Wien in 4 Min. 11 4/5 Sec. als Erster, Paul Nagel-Frankfurt in 4 Min. 12 Sec. als Zweiter und R. Beyn-Hamburg in 4 Min. 12 1/5 Sec. als Dritter das Ziel.

Die auf dies Rennen folgende Production des Unionsmeisterfahrers Herrn Carl Raab als Kunstfahrer auf dem Einrade erregte allgemeines Interesse und lebhaften Beifall.

7. Zweirad-Fahren mit Vorgabe. (Zweirad und Sicherheitszweirad.) Distance 3000 Meter (7 ½ Runden.) Offen für alle Herrenfahrer. I. Preis: Ehrenpreis, gegeben von der Stadt Coburg und ein vergoldetes Ehrenzeichen; II. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 40 M. und ein silbernes Ehrenzeichen; III. Preis: Ehrenpreis im Werthe von 20 M. und ein broncenes Ehrenzeichen. Von den zehn Unterschriften waren sechs zurückgezogen worden und von den vier Fahrern: Emil Zahn-Coburg, Friedr. Schwemmer-Nürnberg, Alb. Sild-Wien und Carl Oppel-Rüsselheim gab der Letztere noch vor Schluß des Rennens das Fahren auf. Den ersten Preis errang Emil Zahn-Coburg in 5 Min. 39 2/5 Sec., den zweiten Fr. Schwemmer-Nürnberg in 5 Min. 39 3/5 Sec., den dritten Sild-Wien in 5 Min. 42 Sec.

Nach beendetem Rennen, dem Se. Hoheit der Herzog mit dem Prinzen und den Prinzessinnen von Edinburg bis fast zum Schluffe beiwohnte, begaben sich die Radfahrer, deren Zahl im Laufe des Nachmittags auf gegen 250 stieg, nach der Stadt zurück. Abends fand im Saale des Gesellschaftshauses, dessen Podium sinnigen Decorationsschmuck trug, Preisvertheilung statt, der ein Tanz folgte, der die Theilnehmer bis nach Mitternacht fesselte. — Am heutigen Vormittag vereinigten sich die Radfahrer auf der Veste, wo die Stadtmusik wiederum ein sehr gediegenes Concert executirte, und sodann zu einer Fahrt nach der Rosenau. Ein großer Theil der fremden Radfahrer besuchte gestern und heute die mit großem Beifall aufgenommenen Vorstellungen im Herzog!. Hoftheater.

Quelle: Coburger Zeitung, 21.05.1888


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